Huh, jetzt wird sie aber politisch! Dachte man zumindest, als vor einer Woche die Single "Positions" erschien, Vorbote und Titeltrack von Ariana Grandes neuem Album. Im Video zu der groovenden R&B-Popnummer ist die 27-jährige Italoamerikanerin aus Florida als US-Präsidentin zu sehen und stilisiert sich zu einer Art Jackie-Kennedy-Enkelin, die ihre Sitzungen und Meetings ebenso gut im Griff hat wie ihre Küche - und ihr Schlafzimmer.
Ein feministisches Statement? Nur an der Oberfläche. Hört man in den Text von "Positions" genauer hinein, dann geht es darin weniger um politische, sondern um sexuelle Positionen – mit olympischem Anspruch sogar. Ariana Grande, seit dem Frühjahr mit ihrem neuen Boyfriend Dalton Gomez zusammen, verbrachte den Corona-Lockdown der Sommermonate offenbar hauptsächlich im Bett. Ihr neues, sechstes Album, ist unumwunden erotisch und voller Wortspielereien, die immer nur eines umschreiben: Sex.
Man gönnt ihr die Lust, die Lebensfreude und die Auszeit. Grande, ab 2013 als sinnlich-süßes Stimmwunder zum Jugendidol und Soulstar gewachsen, hat drei höllische Jahre hinter sich. Im Mai 2017 sprengte sich ein Selbstmordattentäter im Foyer der Arena in Manchester in die Luft, in der sie gerade ihr ausverkauftes Konzert gab. 23 Menschen kamen ums Leben, die Sängerin erlitt eine posttraumatische Belastungsstörung. Nur knapp eineinhalb Jahre später starb ihr Ex-Freund, Rapper Mac Miller, an einer Überdosis Drogen, die beiden hatten sich erst wenige Wochen vorher getrennt.
Diese Dämonen verarbeitete Grande auf ihren beiden Alben "Sweetener" und "Thank You, Next", auf denen sie sich nüchterner, erwachsener und verletzlicher gab als zuvor. Aus dem Kraftakt, sich mit Trauer und Leid zu konfrontieren, künstlerisch daran zu arbeiten, statt wegzuschauen und zu verdrängen, schöpfte Grande viel Kraft. "All these demons helped me see shit differently", singt sie im Eröffnungstrack "Shut Up", der gleich mal klarstellt, dass sie Mitleid unattraktiv findet: "Don’t be sad for me".
Diese unapologetische Haltung offenbart sich jetzt in der großen musikalischen Klarheit von "Positions" - und der lässigen Unverschämtheit, einfach mal nur übers Ficken zu singen. Sex kann seelische Wunden heilen, wusste schon Soulgott Marvin Gaye, der mit dem anzüglichen "Sexual Healing" in den Achtzigern einen seiner größten Erfolge hatte. Janet Jacksons sinnenfreudiges Album "Janet" von 1993 steht für Grande musikalisch und gesanglich Pate.
Aber Ariana Grande muss sich gar nicht mehr hinter Vorbildern verstecken. Wie schon beim vorherigen Album schrieb sie an allen 14 Songs mit – und hatte offenbar großen Spaß daran, allzu Explizites mit lustigen Metaphern zu verschlüsseln, damit auch ihre Teenager-Fans noch zuhören können, ohne zu erröten (vielleicht hatte sie auch eher die Eltern im Blick).
Na gut, an mancher Stelle ist sie so direkt, wie es nur geht: "Can you stay all night, fuck me til the daylight", flötet sie in "34+35". Die Summe dieser beiden Zahlen ist natürlich 69, womit dann auch klar wäre, welche Position sie sich für den Sex-Marathon dieser Nacht wünscht. "Six Thirty" heißt eine weitere, bettlakenleichte Ballade mit viel süßem Satin-Soul, in der Grande eher beiläufig fragt: "Are you down, what’s up?", als ginge es um einen harmlosen Abend an der Playstation. Die Uhrzeigerstellung 6 Uhr 30 verweist aber schon recht genau in die Richtung, wo an ihrem Körper ihr Lover mit seinem, äh, Controller zu Werke gehen soll. Die Netflix-and-chill-Version des saftigen Sommerhits "WAP", wenn man so will.
"My Hair", der zentrale und beste Song des Albums, handelt davon, dass man an ihrem zum Markenzeichen gewordenen Fake-Pferdeschwanz beim Fummeln ruhig ziehen dürfe, dafür sei er ja da. Und in "POV" malt sie sich mit einem Begriff aus dem Porno-Repertoire mit zunehmender Gesangserregung aus, wie sie ihr Partner beim Sex wohl sehen mag.
So geht es maximal kinky weiter – in einem entspannten Flow, der sich mal ein paar Hollywood-Streicher gönnt, mal einen schnelleren Beat und ein paar Fingerschnippser, aber meistens im kuscheligen, aufreizenden Midtempo bleibt. Nur selten geht es auch um romantische Liebe, im schönen Duett "Off The Table" mit dem nicht minder lüsternen The Weeknd zum Beispiel, wenn Grande singt: "not quite yet healed or ready, shouldn’t be going too steady” – und damit signalisiert, dass eine allzu feste Beziehung gerade nicht auf dem Verhandlungstisch liegt.
Fair enough. Ariana Grande genügt sich gerade selbst. Sie genießt ihre Stellung als krisengestählte, erfolgreiche Ausnahmekünstlerin im Pop: "Just like magic/ I’m attractive/ I get everything I want cuz I attract it", singt sie an einer Stelle auf ihrem unwiderstehlichen Album. Eine eindrucksvolle, selbstbewusste Positionsbestimmung.
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